Sonntag, 23. November 2014

Review: Agnes (Peter Stamm)

Das Abitur naht! Bei mir ist es 2016 soweit und deswegen geht es im Deutschunterricht schon mit der ersten der drei Pflichtlektüren los: Agnes.
Selbstständig gelesen wurde es von mir und den meisten Schülern meiner Stammgruppe während der letzten zwei bis drei Wochen, sodass wir uns schonmal eine Meinung zum Buch bilden konnten. Tatsächlich bestand dann eine der ersten Aufgaben, die wir im Unterricht gemacht haben, darin, seine Meinung in Form einer Rezension aufzuschreiben, sprich: die perfekte Aufgabe für mich :). Und weil meine beste Freundin keinen Senf wollte, gibt's jetzt wie versprochen mein Ketchup dazu ;):



Das Buch dreht sich um zwei Personen: den (namentlich unbekannten) Ich-Erzähler und, wer hätte es gedacht, Agnes. Die beiden lernen sich in der Chicago Public Library kennen, er recherchiert für ein Buch über Luxuseisenbahnwagen, sie für ihre Doktorarbeit in Physik. Sie treffen sich und werden ein Paar. Agnes bittet den Erzähler, ihre Liebesgeschichte in Form eines Romans aufzuschreiben. Das macht er dann auch; mit dem kleinen Haken, dass er mit der Geschichte schnell in der Gegenwart ankommt, also in der Zukunft weiterschreiben "muss". Die beiden leben schließlich nur noch nach und in der Geschichte, die Realität wird fast vollständig ersetzt.

Nicht, dass es hier wichtig wäre, aber trotzdem


!SPOILER-ALARM! 

1.)
Schullektüren sind ja meist mit eher mäßig Lust aufs Lesen verbunden. Hier fängt es schon im ersten Kapitel an: Der überaus motivierende (Sarkasmus *off*) erste Satz: "Agnes ist tot." Gut, danke für's Gespräch. Tatsache ist, dass dadurch die eigentliche Story in eine Rahmenhandlung eingebettet ist, nämlich wie der Erzähler von sich und Agnes erzählt, was dazu führt, dass das erste und das letzte Kapitel echt deprimierend sind.

2.)
Was aber ganz cool ist, ist die Tatsache, dass über Agnes' "Tod" praktisch nichts berichtet wird, ergo der Leser gar nicht mit Sicherheit sagen kann, ob sie wirklich tot ist, sie kann sich auch einfach nur stark verändert haben, oder sie ist "für den Erzähler gestorben", weil sie ihn verlassen hat. Rätselraten nach der Lektüre, witzig.

3.)
Sowohl Agnes selbst als auch den Ich-Erzähler fand ich ziemlich zum Kotzen. Lag vermutlich daran, dass beide leicht depressive Züge zeigen und trotz ihrer offensichtlichen Beziehungsunfähigkeit versuchen, normal zusammen zu sein. Dazu kommt, dass Agnes einfach vor allem und jedem Angst hat, ich meine, die Klimaanlage?! Der Erzähler ist auch nicht besser, mal ehrlich, wenn er merkt, dass sie nur nach der Geschichte lebt, die er schreibt, dann ist es vielleicht nicht die beste Idee, über ihren Selbstmord zu schreiben...Außerdem halte ich es auch für nicht gerade aufbauend, auf die Aussage von Agnes "Ich bin schwanger." zu antworten "Ich kann kein Kind gebrauchen." Was für ein charmanter Typ.

4.)
Man muss dem Buch aber zugute halten, dass es, obwohl total kaputt, einfach geschrieben ist, ein bisschen wie eine Kurzgeschichte (nicht, dass ich diese mögen würde, Stichwort: "Die Kirschen"). Außerdem soll es unter den Abiturlektüren "Agnes", "Homo Faber" (Max Frisch, der Typ von "Andorra") und "Dantons Tod" (Georg Büchner, alias Kafka 2.0) die erträglichste sein, und auch ich muss sagen, dass ich schon schlimmere Lektüren lesen musste.

Fazit:
Durch den einfachen Schreibstil von Peter Stamm und die unaufgeregte Geschichte habe ich das Buch als lesbar empfunden. Für eine Lektüre war es ok, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es freiwillig gelesen hätte und selbst wenn, hätte ich gesagt, dass sich der Kauf nicht lohnt, weil es einfach stellenweise echt gestört ist, zumal der Erzähler ja mit Agnes' Leben spielt, was schon ein wenig krank ist. Aber ich finde, dass man hier ganz gut sehen kann, wie äußere Umstände (hier: Pflichtlektüre) das Urteil über ein Buch verändern können.

***

Übrigens:
Anscheinend soll "Agnes" verfilmt werden und in diesem Fall wird der namenlose Erzähler wahrscheinlich "Walter" heißen - so wie der Protagonist in Max Frischs "Homo Faber". Zufall?!

Macht's gut,
Kerstin :)